This article refers to the event: Women in Tech #SpeakUp – mit Jenna van Hauten (20. January 2021)
Recap: #Speakup mit Jenna van Hauten
Jenna van Hauten ist Senior Data Scientist in einem großen IT-Unternehmen in Karlsruhe. Sie ist als Quereinsteigerin gestartet und berichtet, was eigentlich Data Science ist, wie man in den Bereich kommt und was auch ganz grundsätzlich für einen Quereinstieg wichtig ist. Außerdem ist sie Beirätin von Women in Tech, Coach und unterstützt Frauen, mutig ihren eigenen beruflichen Weg zu gehen – ohne sich zu verbiegen.
Das ganze #SpeakUp findest du hier, thematische Marker sind in der Videobeschreibung enthalten:
Was ist eigentlich Data Science und wo kommt man als „Normalo“ mit Data Science in Berührung?
Data Science ist die mathematische Vorhersage von Ereignissen aus meistens sehr großen Datenmengen. Also wenn ich beispielsweise vorhersagen möchte, welches Produkt einen Kunden als nächstes interessieren könnte, aber auch zur Optimierung der Landwirtschaft oder in der Früherkennung von Krankheiten aus Gesundheitsdaten. Grundsätzlich versucht Data Science mit Algorithmen, Informationen aus großen Datenmengen zu ziehen, die die Geschäftsprozesse verbessern. Das wird in ganz vielen Branchen genutzt. Ich selbst arbeite seit 7 Jahren im Bereich der Analyse von Kundenverhalten, also mit den Fragen: Welche Kunden interessieren sich für welche Produkte, wann kaufen sie erneut, was fördert die Kundenzufriedenheit? Im Alltag kennt das jeder zum Beispiel von den Produktempfehlungen bei Amazon „Was andere Kunden, die dieses Produkt gekauft haben, auch gekauft haben“, den gesponsorten Beiträgen bei Facebook, die auf unseren Daten in Social Media beruhen und wo eine Zielgruppe, die sich für ein Produkt interessieren könnte ganz genau ausgewählt wird oder dem Instagram Algorithmus, der beeinflusst, welche Beiträge der Accounts, die ich abonniert habe, ich überhaupt in meinem Home angezeigt bekomme.
Welche Kompetenzen braucht man, um Data Scientist zu werden?
Klassischerweise haben Data Scientists Mathematik oder (Wirtschafts-)Informatik studiert. Denn es braucht definitiv ein gutes Zahlenverständnis, Freude daran, Sachverhalte abstrakt und mathematisch zu beschreiben und ein Verständnis für Daten, also wie werden Daten aufbereitet und welchen Effekt hat das auf die Aussagekraft. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig genau diese Transferleistung gut hinzukriegen. Daran scheitern viele Data Science Projekte in der Praxis – die Diskrepanz zwischen ich sag mal „mathematischer“ Genauigkeit und der Fachanforderung. Die Anforderung aus den Fachbereichen ist oft so etwas wie „Folgendes Projekt soll effizienter werden – hast du da nicht was in deinen Daten?“. Es braucht ein gutes Verständnis für die Geschäftsprozesse und kommunikative Stärke, da genau nachzufragen, was gebraucht wird, um die algorithmischen Entscheidungen so zu treffen, dass die Aussagekraft für den Anforderer wirklich bleibt. Dieses Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis – in dieser Schnittstelle habe ich vor allem gearbeitet. Daneben ist Datenaufbereitung und das Programmieren der Algorithmen natürlich die Hauptaufgabe eines Data Scientist. Aber ich habe das bei uns so erlebt – und auch geschätzt – dass nicht jeder Data Scientist in jedem Bereich gleich stark sein muss. Wir hatten als Team jeder seinen Schwerpunkt und haben uns da gut ergänzt.
Wie kamst du als Psychologin in diesen Bereich?
So kam ich auch als Psychologin in den Bereich. Psychologen und auch überhaupt Sozialwissenschaftler, sind nicht ganz so häufig in dem Bereich Data Science unterwegs – wenn auch immer mehr. Was ich toll finde, denn das passt eigentlich super. Denn gerade wenn es um das Vorhersagen von menschlichem Verhalten geht, sind die Sozialwissenschaften hervorragend ausgebildet. Psychologen haben im Studium einen Schwerpunkt in Statistik. Und so kam auch ich in den Bereich. Nach dem Studium in der Bewerbungsphase hatte ich das erst gar nicht auf dem Schirm. Mir war klar, dass ich nicht in den Kliniken und Psychiatrien arbeiten wollte, also wollte ich in „die Wirtschaft“ – und da habe ich an Unternehmensberatung oder Personal gedacht. Erst ein Freund hatte mich auf den Gedanken gebracht, im Bereich CRM – Customer Relationship Management – zu schauen. Dabei habe ich mich dann, eigentlich versehentlich, auf eine Analystenstelle beworben. Und als ich ganz kurzfristig zum Bewerbungsgespräch eingeladen wurde und dann schnell noch unterwegs die restlichen Begriffe aus der Stellenanzeige gegooglet habe – habe ich die wichtigste Lektion für Quereinstiege – eigentlich auch grundsätzlich für Bewerbungen – gelernt: „Du kannst viel mehr als du denkst.“ Ja, im Prinzip bin ich durch Zufall auf diese Stelle gekommen, auf die ich mich so wahrscheinlich gar nicht beworben hätte. Aber bei genauerem Hinsehen hat sich hinter den gewünschten Fähigkeiten das verborgen, was ich auch in meinem Studium gelernt hatte – es hatte nur andere Namen. Und so ist es tatsächlich ganz oft.
Im Prinzip habe ich dann im Bewerbungsgespräch gemerkt, dass mich die Stelle wirklich reizt, dass ich Freude daran habe, mit den Zahlen zu hantieren und Probleme zu lösen. Und so wurde ich dann auch eingestellt.
Was ist wichtig für einen Quereinstieg – Richtung Data Science, aber auch im Allgemeinen?
Klar, der Bereich Data Science hat sich in den letzten 7 Jahren enorm entwickelt und ist auch ziemlich gehyped. Als wir im Team vor kurzem eine Stelle ausgeschrieben hatten, hatten wir über 60 Bewerbungen… entsprechend wird mittlerweile beispielsweise Programmieren in Python oder R eigentlich immer vorausgesetzt. Trotzdem gilt bei einem Quereinstieg immer – hab Mut, dich zu bewerben, auch wenn du nicht alle Qualifikationen erfüllst. Eine Stellenausschreibung ist oft eine Wunschliste des Unternehmens. Und natürlich hast du nicht genau dieselben Qualifikationen wie die typischen Bewerber dieser Branche, sonst wärst du ja auch keine Quereinsteigerin. Ich empfehle dir, dich nicht zu viel mit den anderen zu vergleichen, denn jeder Lebenslauf ist einzigartig. Unterschätze DEINE Qualifikationen nicht. Nur weil du vielleicht nicht genau dieselben Kenntnisse wie die anderen hast, heißt das nicht, dass all das, was du kannst, nicht ebenso wertvoll ist. Man bringt viel mehr mit für eine Stelle als man denkt. Als Psychologin habe ich zum Beispiel aus dem Studium auch vieles einbringen können, was für das Verstehen von Kundenverhalten hilfreich ist (und gar nicht in der Stellenausschreibung stand ?). Deswegen kenne deine Stärken und dann schadet auch ein bisschen Mut beim Bewerben ganz und gar nicht.
Wie hast du es erlebst als Frau im männerdominierten Bereich zu arbeiten bzw. welchen Tipp würdest du Frauen da geben?
Ich selbst war immer in gemischten Teams, kenne aber auch aus manchen Meetings v.a. beim Berufseinstieg die Herausforderung eine gute Balance zu finden zwischen anpassen und authentisch sein. Und natürlich kenne ich das Thema aus meinen Coachings. Grundsätzlich empfehle ich sich erst einmal im Kopf frei zu machen von den Rahmenbedingungen und die Frage zu stellen: Wenn hier z.B. noch weitere 4 Frauen wären o.Ä. – wie würde ich gerne hier im Meeting auftreten? Wie würde ich mich wohl fühlen, wenn ich meine Arbeit mache? Sich selbst ganz ehrlich zu hinterfragen, was ist mein eigener Stil, mit dem ich mich wohl fühle? Denn der entspricht meistens auch unseren Stärken. Und wenn ich das weiß, dann kann ich auch so auftreten – obwohl ich die einzige Frau bin, obwohl ich die einzige bin, die im Meeting auch mal laut lacht. Auch wenn ich damit anders sein sollte, werde ich trotzdem ernst genommen. Weil ich authentisch bin. Dann kann ich die einzige mit knall bunten Hosen zwischen Männern mit schwarzen Metal-T-Shirts sein. Dann kann ich weiblich sein, aber ich muss es eben auch nicht. Und wenn da eine große Diskrepanz ist, wie ich gerne auftreten würde und wie ich es aktuell tue (oder glaube, dass es angemessen ist), dann probiere dich langsam aus. Vielleicht muss man nicht alles von heute auf morgen ändern, aber du kannst es schrittweise ausprobieren, wie du dich damit wohlfühlst.
Und wenn „die einzige Frau“ sein für jemanden ein Thema ist, würde ich auch versuchen nochmal zu reflektieren, ob es auch ein Thema für die anderen ist. Nehme vor allem ich mich als die einzige Frau wahr oder reagieren die anderen auf mich v.a. als Frau und nicht in erster Linie über meine fachliche Kompetenz. Manchmal vermischt sich das und für die Männer um mich, ist das gar kein Thema.
Familie, Data Science und Coach – wie bekommst du das alles unter einen Hut? Welchen Tipp hast du da?
Klar, es ist Prioritäten setzen. Mehr Zeit auf der Arbeit ist immer weniger Zeit für die Familie und umgekehrt. Gleichzeitig habe ich mir aber nie die Frage gestellt, ob es geht. Ich wollte beide Bereiche und Data Science, Coaching und Zeit mit meinen Kindern bereichern sich für mich gegenseitig. Ich schätze das sehr. Tatsächlich waren mir meine eigenen Eltern da auch immer ein Vorbild, da meine Mama auch gearbeitet hat und mein Papa nachmittags mit uns zu Hause war. Trotzdem habe ich nach der Elternzeit auch gemerkt, dass ich fast in die Falle getappt wäre zu denken, dass ich ja „nur“ in Teilzeit arbeite und jetzt ja „vor allem“ Mutter bin. Doch in Teilzeit arbeite ich ja nicht plötzlich schlechter – nur weniger Stunden. Und die meist viel effektiver ? auch da galt für mich also: Unterschätze nie deine Arbeit und den Mehrwert, den du stiftest.
Wenn man solche Vorbilder – wie ich meine Eltern – nicht hat: Dann empfehle ich, sich mit denen auszutauschen, die Arbeit und Privatleben auf eine Art vereinbaren, wie man es sich wünscht. So kann man die eigene Prägung auch schrittweise hinterfragen. So ging es mir ja selbst. Im ersten Moment war ich über meinen eigenen Gedanken erschrocken, ich wäre „nur Mama in Teilzeit“. Aber damit konnte ich den Gedanken dann auch direkt in Frage stellen und trotzdem meine Entwicklungsperspektiven mit meinem Chef besprechen. Und das Ergebnis hat meinen Glaubenssatz dann völlig über den Haufen geworfen. So kann man dann seinen eigenen Weg finden, alles zu vereinbaren – auch unabhängig von der Prägung.
Wie unterstützt du Frauen durch dein Coaching? Welche Themen siehts du häufig bei Frauen, die überlegen einen Quereinstieg in die Tech-Branche zu wagen?
Die häufigsten Themen, die mir im Coaching begegnen: Den eigenen Wert zu unterschätzen, sich dadurch nicht so viel zuzutrauen und die Frage von Frauen, ob ihr Job wirklich zu ihnen und ihren Stärken passt. Nicht dass das jetzt ein Thema sein muss, dass v.a. Frauen beschäftigt – ich arbeite eben vor allem mit Frauen zum Thema Selbstbewusstsein ? Die eigenen Stärken halten viele für selbstverständlich und sehen sie deswegen nicht. Gerade bei so „weichen“ Kompetenzen, wie Kommunikationsfähigkeit oder Einfühlungsvermögen. Wir wissen oft nicht, wie viel besser wir da sind, als der Durchschnitt, weil es uns nicht messbar erscheint. Tatsächlich sind das aber sehr wertvolle Fähigkeiten für die meisten Jobs. In der Folge traut man sich vielleicht nicht die eigene Meinung zu vertreten, sich auf eine neue Stelle zu bewerben, meinen Hut in den Ring zu werfen für eine Beförderung oder auch mein Gehalt höher zu verhandeln. Gerade beim Quereinstieg ist oft die Herausforderung eine gute Balance zu haben zwischen zusätzlichen Weiterbildungen und einem gesunden Selbstbewusstsein, dass man vieles „on the job“ lernen wird – und wie gesagt: oft kann man schon viel mehr, als man selbst sieht.
Zeitstempel:
00:00 Begrüßung, Vorstellung und was ist eigentlich Data Science?
14:45 Wie wird man Data Scientist & Tipps für den Quereinstieg
40:00 arbeiten als Frau in männerdominierten Bereichen
45:00 Familie & Beruf vereinbaren
57:00 typische Themen im Coaching
59:00 weitere Fragen aus der Runde
Quotes:
„Eine Stellenausschreibung ist eine Wunschliste des Unternehmens.“
„Unterschätze DEINE Qualifikationen nicht.“
„Ich frage mich nicht, ob es möglich ist. Sondern wie es für mich möglich ist.“
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