WIT: Hallo, Inken, Bitte erzähle uns doch einmal kurz von dir persönlich
Inken: Hi! Ich heiße Inken und bin Mechatronik-Studentin an der Hochschule Karlsruhe im Zweitstudium. Bevor ich nach Karlsruhe gekommen bin, habe ich erst Geisteswissenschaften in Tübingen studiert und dann unter anderem in Berlin und St. Petersburg als Projektmanagerin, Coach und Dozentin gearbeitet.
WIT: Was machst du beruflich?
Inken: Seit 2022 bin ich als Coach für Frauen in der Technik selbständig.
WIT: Was genau versteckt sich hinter deiner Berufsbezeichnung?
Inken: Mein Fokus im Coaching liegt weniger auf Karrierezielen als darauf, dass meine Kund:innen wirklich sie selbst sein können und sich die Arbeitsbedingungen schaffen, die ihnen gut tun.
Den Anstoß dazu haben viele Faktoren gegeben: persönliche Erlebnisse aus meinem Mechatronik-Studium und ersten Berufserfahrungen in Tech, Erzählungen anderer Women in Tech, aber auch die statistische Beobachtung, dass über 50% der Frauen die Tech-Branche früher oder später in ihrer Karriere wieder verlassen. Das ist kein Zufall.
Bis das Problem auf der strukturellen Ebene gelöst ist – wofür sich glücklicherweise schon viele Initiativen einsetzen – biete ich mit meinem Coaching quasi Selbstverteidigung für Frauen in der Technik an. Mir ist es wichtig, dass es viele Ingenieur:innen und Techniker:innen etc. gibt, die wirklich glücklich in ihrem Beruf und mit den Rahmenbedingungen sind.
WIT: Wie bist du dazu gekommen, einen technischen Beruf zu wählen?
Inken: Mir war es immer wichtig, eine gesellschaftliche Veränderung (mit-)anzustoßen. Dafür habe ich mir verschiedene Berufsfelder angeschaut. Doch weder Journalismus, die Politik mit allem Drumherum noch die Arbeit in einer Nichtregierungsorganisation haben mich wirklich überzeugt, was die Wirkung angeht. Technik hingegen hat direkte Auswirkungen auf das Leben aller – im Guten wie im Schlechten.
Mein Hauptaugenmerk in der Technik sind insbesondere Nachhaltigkeit und Diversität in allen Facetten – von Gendergerechtigkeit über Rassismuskritik bis hin zu Barrierefreiheit. Natürlich werde ich später nicht in allen Bereichen arbeiten können – aber durch mein Coaching kann ich Menschen stärken, die auch andere Perspektiven als die überrepräsentierte männlich, weiße Denkweise in die Technik mitbringen.
WIT: Wer oder was hat dich am meisten inspiriert, einen technischen Beruf zu wählen?
Inken: Den entscheidenden Unterschied hat eine Maschinenbauerin gemacht, die vorher Theaterschauspielerin war. Ich war einfach von den Socken, als ich sie kennenlernte. Schon als Kind haben mich die Naturwissenschaften begeistert – aber ich war in meinem Umfeld mit so vielen Vorurteilen konfrontiert, dass ich mich einfach nicht in der Technik gesehen habe. Als Erwachsene habe ich das immer wieder bedauert. Ich glaubte, es sei zu spät für eine so krasse berufliche Neuausrichtung. Plötzlich ein Vorbild zu haben war einfach phänomenal und hat mir den Mut gegeben, den ich brauchte.
WIT: Hat dich Technologie und/oder Programmieren schon immer interessiert?
Inken: Jein. Ich habe als Kind mit Vorliebe technische Geräte auseinandergenommen, um zu verstehen, wie sie aufgebaut sind. Auch Programmieren fand ich spannend. Wir hatten in der Mittelstufe Programmierunterricht, der mir viel Spaß gemacht hat. Andererseits war ich auch sehr gerne in der Natur und der Zeitaufwand, um bunte Linien oder auch Ampelschaltungen auf dem Bildschirm zu erzeugen, erschien mir zu hoch. Mir war damals nicht klar, was aufbauend darauf noch alles möglich ist.
Auf jeden Fall war ich nicht der typische Nerd. Ich habe gerne gelesen, gemalt oder Freundinnen getroffen. Aber immer, wenn ich mit Technik zu tun hatte, war ich voll dabei.
WIT: Haben deine Eltern und Lehrer deine Vorliebe und dein Interesse für Technik gefördert?
Inken: Kaum. Meine Eltern hatten keine technischen Berufe und konnten mir da wenig zeigen. Wenn es doch etwas zu reparieren gab, hat sich mein Vater darum gekümmert, damit es schnell ging. Vielleicht hätte er mich mehr einbezogen, wenn ich ein Junge gewesen wäre? Ich weiß es nicht.
Ich hatte zwischendurch sehr engagierte Lehrer, die mich für ihre Fächer – Mathe, Physik und kurzzeitig Informatik – sehr begeistert haben. Aber eine individuelle Förderung war da nicht drin.
WIT: Was gefällt dir an deiner Tätigkeit am meisten?
Inken: Im Mechatronik-Studium begeistert mich tatsächlich das Programmieren am meisten. Da kommt auch alles zusammen. Zum Beispiel haben wir im Team ein Mini-EKG mit Mikrocontroller gebaut und programmiert. Solche Projekte liebe ich wegen ihrer Relevanz.
Und im Praxissemester am CERN konnte ich eine Simulation konzipieren. Das war bisher mein komplexestes Software-Projekt, zumal es in zwei verschiedenen Programmierumgebungen stattfand. Dabei habe ich extrem viel gelernt, konnte aber z.B. auch meine Projektmanagement-Fähigkeiten mit einbringen. Ich finde es schön, wenn ich sehe, dass ich auf meine bisherigen Erfahrungen aufbauen kann und mich trotzdem weiterentwickle.
Am Coaching gefällt mir besonders, diese tollen Menschen kennenzulernen und in ihrer Entwicklung zu begleiten. Unbezahlbar.
WIT: Was ist für dich das Schönste an deinem Arbeitsalltag?
Inken: Ich genieße die Flexibilität und Selbstbestimmtheit als Studentin und als Selbständige. Und gleichzeitig lerne ich immer wieder Neues.
Aber auch bei jeder Stelle als Angestellte achte ich darauf, dass ich sowohl einen Entscheidungs- als auch Entfaltungsspielraum habe. Ohne das geht es für mich nicht.
WIT: Wo findet man dich in der Freizeit am ehesten?
Inken: Ich gehe super gerne spazieren, wandern, radfahren oder schwimmen. Das heißt, wenn Zeit und Wetter günstig sind, findet man mich in der Natur. Oft lese ich aber auch ein Buch (meist Fantasy, Science Fiction oder ein Sachbuch), spiele mit meinem Partner und/oder Freunden ein – am liebsten kooperatives – Brettspiel oder telefoniere mit Freund:innen. Im Moment bin ich allerdings schwanger und brauche vor allem unglaublich viel Schlaf. ^^
WIT: Welche Botschaft möchtest du Frauen oder Mädchen mitgeben, die sich für Technik interessieren?
Inken: Lass dir niemals einreden, du müsstest jemand anderes sein!
Technik ist nicht (!) nur für Nerds. Ich kenne inzwischen so viele tolle Ingenieur:innen die in ihrer Freizeit Yoga machen, wandern gehen oder einfach nur mit Freunden chillen. Egal wie du vom Stereotyp abweichst: Gerade dass du eine andere Perspektive mitbringst, macht dich zu einer Bereicherung für die Technik. Ja. Auch deine Sensibilität.
Und wer dich nicht ernstnimmt, weil du deine Haare offen trägst, dich schminkst oder mit höherer Stimme sprichst ist – mit Verlaub – ein Vollidiot. Egal, wie viele Doktortitel er hat.
Und falls du doch mal was nicht kannst: Einfach weitermachen! Du kannst das lernen.
WIT: Welchen Ratschlag verfolgst du bis heute?
Inken: “Einmal pro Tag blamieren!” Unschlagbar. Leider vergesse ich immer mal wieder, wie gut mir das tut. Und wie mutig es mich macht. 😁
WIT: Welchen Herausforderungen begegnest du speziell als Frau in deinem Beruf?
Inken: Es gibt immer noch viele – oft unbewusste – Vorurteile gegenüber Frauen in technischen Berufen. Und auch die Strukturen berücksichtigen die Bedürfnisse von Frauen oft nicht: Gibt es eine Toilette oder nicht? (Wie) Soll ich auf diesen dummen Spruch reagieren? Wieso ist die Prüfungsphase so gestaltet, dass ich immer in mindestens einer Woche meine Periode habe? Männer haben diese Probleme meist nicht.
Mir hilft es, mich mit anderen auszutauschen und Diskriminierung benennen zu können. Für ersteres empfehle ich die Women in Tech e.V., für letzteres feministische Literatur. Es ist einfach so hilfreich zu sehen, dass die Dinge einen Namen haben und ich damit nicht allein bin.
WIT: Welche Tipps hast du für Bewerbungsgespräche für technische Positionen?
Inken: Sei du selbst! Du tust dir damit einen Gefallen, weil du so eine Stelle finden kannst, die wirklich zu dir passt.
Und wenn ein Unternehmen behauptet, sich für Diversity einzusetzen, würde ich immer kritisch nachfragen, was das konkret heißt. Leider ist da nicht alles Gold, was glänzt.
Alarmsignale sind gönnerhafte Kommentare. Mir wurde beispielsweise mal gesagt, ich hätte “vermutlich” schon “ein bisschen” logisches Verständnis. Was so anfängt, wird nicht besser.
WIT: Frauen in technischen Berufen sind ja leider noch eine Minderheit. Was sind deine Gedanken zu diesem Thema?
Inken: Es ist so wichtig, das sich das ändert. Technik wird ja oft noch von weißen Männern für weiße Männer gemacht. Und dann wird Frauen vorgeworfen, nicht technikaffin zu sein. So ein Quatsch!
Ich setzte mich für eine Welt ein, in der die Technikbranche so attraktiv für Frauen und andere unterrepräsentierte Gruppen ist, dass es keinen Girls Day oder andere Initiativen mehr braucht.
Entscheidend ist dabei natürlich auch, dass Frauen sich nicht als Männer “maskieren” müssen, um in technischen Berufen erfolgreich zu sein. Sonst haben wir nichts gewonnen. Es braucht einen Kulturwandel.
WIT: Was verbindet dich mit Frauen in der Technik?
Inken: Zunächst mal die geteilte Erfahrung, aber natürlich auch die Begeisterung für Technik und was dadurch möglich wird.
WIT: Bitte beschreibe eine herausfordernde Situation, der du in deinem Beruf in der Vergangenheit begegnet bist.
Inken: Bei einer Stelle, die ich sehr mochte, musste ich mich zwischen den Vorgaben meines Chefs und meiner Gesundheit entscheiden.
Es wäre easy möglich gewesen, die Arbeitsbedingungen so anzupassen, dass sie meine Bedürfnisse berücksichtigt hätten – ohne negative Konsequenzen für meine Produktivität. Im Gegenteil, ich hätte vermutlich viel besser gearbeitet! Aber alles Verhandeln half nichts – und ich entschied mich für meine Gesundheit.
WIT: Wohin möchtest du dich zeitnah beruflich und persönlich weiter entwickeln?
Inken: Als nächstes möchte ich mein Studium abschließen. Mit der Schwangerschaft sind da ein paar Unwägbarkeiten dazu gekommen. Zum Glück werden mein Mann und ich uns die Care-Arbeit teilen, so dass ich zuversichtlich bin, dass es bald geschafft ist. Und auch die Unterstützung seitens der Hochschule übertrifft in diesem Punkt bisher meine Erwartungen. (Zum Glück habe ich in den letzten Jahren gelernt, klar zu kommunizieren, was ich brauche. 😉
Langfristig sehe ich mich tendenziell als Entwicklerin. Aber auch technische Beratung oder Projektmanagement finde ich reizvoll. Das wird dann mit der Thesis oder nach dem Studium klarer werden. Hauptsache, ich kann mich immer weiter entwickeln. Eintönige Routinen würden mir die Freue an jedem Job verderben.
Mein Coaching-Angebot für Frauen in der Technik werde ich in jedem Fall beibehalten. Andere Frauen in der Technik zu stärken ist für mich ein inneres Anliegen. Und es macht mich glücklich, mich aktiv für eine weiblichere Tech-Branche einsetzen zu können. Wenn ich dann wieder auf eine – kleine oder große – WTF-Situation stoße, weiß ich, dass ich mit dieser Erfahrung jemand anderem weiterhelfen kann.
WIT: Wer sind deine persönlichen oder beruflichen Role Models?
Inken: Vor allem Frauen aus meinem persönlichen Umfeld: Eine Physikerin, die ich am CERN kennenlernen durfte und die meine politische Seite wiederbelebt hat. Die Maschinenbauerin, die mich ermutigt hat, den Quereinstieg zu wagen. Aber auch Frauen aus anderen Kontexten, die mich mit ihrer Klarheit, Einzigartigkeit und Lebensfreude beeindrucken.
Falls sich jemand mit mir über LinkedIn vernetzten möchte, freue ich mich sehr. Ich bin immer an persönlichem Austausch interessiert – auch ganz ohne Coaching. 🙂
WIT: Vielen Dank für das Interview, Inken!