Interview mit Verena Becker, Geschäftsführerin der vbit consulting GmbH

WIT: Hallo, Verena, Bitte erzähle uns doch einmal kurz von dir persönlich
Verena: Hallo, ich bin Verena, 37 Jahre alt. Nach insgesamt 11 Umzügen hat es mich aus meiner Heimatstadt München in die Nähe von Köln verschlagen. Den Grundstein für meine heutige IT-Karriere legte ich mit 16 Jahren – mit einem eher mäßigen Realschulabschluss und ohne klare Vorstellung, welchen beruflichen Weg ich einschlagen wollte.

WIT: Was machst du beruflich?
Verena: Ich bin Mitgründerin und Geschäftsführerin der vbit consulting GmbH. Unser Unternehmen, eine IT- und Prozessberatung aus der Region Köln/Bonn, hat sich auf Zoll-, Außenhandels- und Transportprozesse spezialisiert.

WIT: Was genau versteckt sich hinter deiner Berufsbezeichnung?
Verena: Mein Aufgabenbereich umfasst alles von administrativen Tätigkeiten bis hin zur Projektleitung für Software-Implementierungsprojekte im nationalen und internationalen Umfeld. Ich unterstütze Unternehmen bei der Optimierung von Prozessen im Transport- und Logistikbereich, präsentiere passende Softwarelösungen und fungiere als Schnittstelle, indem ich die Anforderungen der Kunden für die Entwicklungsabteilung übersetze.

WIT: Wie bist du dazu gekommen, einen technischen Beruf zu wählen?
Verena: In die IT- und Logistikbranche bin ich eher zufällig hineingerutscht. Mit einer Ausbildung zur Schauwerbegestalterin und einer weiteren im Logistikbereich habe ich definitiv keinen klassischen Karriereweg eingeschlagen. Eine meiner ersten beruflichen Stationen führte mich zu einem großen Handelsunternehmen, wo ich von einem Tag auf den anderen die Projektleitung für ein IT-Projekt übernommen habe. Ich war sofort fasziniert, was man mit IT und Logistik alles machen kann.
Daraufhin habe ich mehrere Jahre in der IT-Beratung gearbeitet und war unter anderem als IT-Managerin und anschließend als Head of Global Process Management für einen globalen Spezialchemiekonzern tätig. Begleitend dazu habe ich studiert; zunächst BWL mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik und Logistik (Bachelor) und 2021 habe ich einen Master in Zoll, Compliance und internationalem Handel abgeschlossen.

WIT: Wer oder was hat dich am meisten inspiriert, einen technischen Beruf zu wählen?
Verena: In meiner gesamten beruflichen Laufbahn hatte ich immer wieder das Glück, Menschen zu treffen, die meine Begeisterung für die IT gespürt und geteilt haben. Sie haben mir die Chance gegeben, mich auszuprobieren und immer weiter zu lernen. Dass man gerade am Anfang das Vertrauen, Chancen und Aufgaben zum Wachsen bekommt, ist sehr wesentlich und etwas, was ich auch selbst gern weitergeben möchte.

WIT: Hat dich Technologie und/oder Programmieren schon immer interessiert?
Verena: Das hätte es können, aber das kam dann erst mit Anfang 20. In der Schule hatte ich ja sogar Informatik, aber es gab 5 Rechner für 15 Schüler*innen und kein gutes Lehrkonzept, um mein Interesse nachhaltig zu wecken.

WIT: Haben deine Eltern und Lehrer deine Vorliebe und dein Interesse für Technik gefördert?
Verena: In meiner Jugendzeit hatte ich eher ein Interesse an handwerklichen Dingen und an Sport. Zwar hatten wir früh einen Computer, den habe ich aber meistens nur zum Surfen genutzt. Mein Elternhaus vermittelte mir aber ein gesundes Selbstvertrauen. Da meine Mutter bei uns alle handwerklichen Aufgaben übernahm, hatte ich zum Beispiel nie den Eindruck, dass Frauen technische Dinge nicht können.

Der Schulunterricht in Computer- und Technik Themen hat mein Interesse jedenfalls nicht sonderlich gefördert. Dort galt ich eher als unbegabt für Mathematik und Technik. Eigentlich verrückt, dass sich im Nachhinein zeigt, dass das Gegenteil der Fall ist. Ich denke, das hängt auch viel mit den Narrativen und Klischees zusammen, die damals in der Schule noch sehr verfestigt waren und vielleicht heute zum Teil noch sind.

WIT: Was gefällt dir an deiner Tätigkeit am meisten?
Verena: Oft werde ich gefragt, ob ich die Kreativität meines ersten Berufs vermisse – und diese Frage überrascht mich jedes Mal. Man muss sogar kreativ denken können, um komplexe IT-Probleme zu lösen und neue Prozesse im Lager- und Transport Umfeld zu entwickeln. Ich liebe es, wenn die „Platine im Kopf” richtig gefordert wird. Außerdem genieße ich die Freiheit, meine eigene Chefin zu sein und ein Unternehmen nach meinen Überzeugungen aufzubauen und zu führen.

WIT: Was ist für dich das Schönste an deinem Arbeitsalltag?
Verena: Definitiv die Abwechslung als Geschäftsführung und in der Projektarbeit. Und der Moment, wenn ein Prozess implementiert wurde und man zum Teil Monate über den Lösungen gebrütet hat…und plötzlich läuft’s.

WIT: Wo findet man dich in der Freizeit am ehesten?
Verena: Ich finde meinen Ausgleich vorallem beim Sport und allgemein gern an der frischen Luft. Und alles, was sonst die Screen Time reduziert.

WIT: Welche Botschaft möchtest du Frauen oder Mädchen mitgeben, die sich für Technik interessieren?
Verena: Dieselben, die einfach schon immer Jungs mitgegeben werden: Glaubt an eure Fähigkeiten und traut euch.

WIT: Welchen Ratschlag verfolgst du bis heute?
Verena: Nicht aus der Ruhe bringen lassen. Andere um Rat fragen. Komplexe Themen und schwierige Entscheidungen „sacken“ lassen und ruhig eine Nacht darüber schlafen.

WIT: Welchen Herausforderungen begegnest du speziell als Frau in deinem Beruf?
Verena: Herausfordernd ist, dass man als Frau immer etwas besser sein muss, um dieselbe Anerkennung zu bekommen wie Männer. Man steht mehr unter Druck und Beobachtung und wird häufiger in Frage gestellt, da kann man noch so viel fundierte Expertise mitbringen. Das kann ziemlich anstrengend sein und ist glaube ich auch etwas, was Mädchen und Frauen in vielen männlich dominierten Berufsfeldern abschreckt.

Ich hatte einmal ein Bewerbungsgespräch bei einem großen Einzelhandelsunternehmen, das mir noch lange in Erinnerung bleiben wird. Dort wurde mir direkt gesagt, dass man eigentlich keine Frau einstellen möchte, da diese ja „so nah am Wasser gebaut“ seien. Ein anderes Highlight aus einem Gespräch war die Bemerkung, dass ich das Jobangebot sicher nicht sofort annehmen könne, da mein Mann ja wohl auch noch ein Wörtchen mitzureden habe.

Wir müssen vom “Augenrollen und Weitermachen” mehr ins Handeln kommen und eine gesellschaftliche Veränderung einfordern. Jede Frau kennt mindestens eine solche und schlimmere Geschichten, aber es sind nicht einfach nur absurde Anekdoten. Es ist wichtig, diesen Sexismus klar zu benennen, denn er verhindert Karrieren, ist mit ein Grund für den Gender Pay Gap, die gläserne Decke und so vieles mehr.

WIT: Welche Tipps hast du für Bewerbungsgespräche für technische Positionen?
Verena: Ich habe eher einen Tipp für die Jobsuche und Bewerbung im Allgemeinen: Auf jeden Fall bewerben, auch wenn ihr nicht über alle geforderten Qualifikationen verfügt. Meist sind das eh Wunschlisten und was man noch nicht kann, kann man lernen.

WIT: Frauen in technischen Berufen sind ja leider noch eine Minderheit. Was sind deine Gedanken zu diesem Thema?
Verena: In meiner Schulzeit gab es oft Wahlfächer mit einem klaren “entweder-oder”-Charakter: entweder Informatik oder Textverarbeitung. Meist entschieden sich die Jungs für Informatik, während die Mädchen Textverarbeitung wählten. Aber warum nicht allen Schüler*innen die Möglichkeit geben, beides auszuprobieren? Manchmal braucht es nur einen kleinen Impuls, um eine Leidenschaft für etwas zu entwickeln. Wie viele talentierte Technikerinnen wohl durch das Raster unseres Schulsystems gefallen sind?

Die Problematik geht jedoch tiefer. Kinder orientieren sich an dem, was ihnen im privaten Umfeld vorgelebt wird. Es wäre für alle ein Gewinn, wenn wir geschlechtsspezifische Klischees endlich überwinden und jedem Menschen die Chance geben, eine Begeisterung für etwas zu entdecken – unabhängig von traditionellen Rollenbildern, die Mädchen wie Jungen nur unnötig einschränken.

WIT: Wer sind deine persönlichen oder beruflichen Role Models?
Verena: Das sind eher keine einzelnen Personen, sondern einzelne Eigenschaften, Skills oder Handlungen, die ich bei Menschen aus meinem privaten und beruflichen Umfeld beobachte und mir „abschaue“. Denn man muss auch klar sagen: für meinen Werdegang gab es niemanden, an dem/der ich mich hätte orientieren können. Umso wichtiger, dass Frauen in MINT Berufen sichtbarer werden, damit es eine Generation gibt, die das auch vorgelebt bekommt.

Vielen Dank für das Interview, Verena!

 

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