Interview mit Neslihan Yildirim, Hardwareentwicklerin
WIT: Hallo, Neslihan, Bitte erzähle uns doch einmal kurz von dir persönlich
Neslihan: Hey, ich bin Neslihan, 32 Jahre alt und arbeite leidenschaftlich in der Technologiebranche. Seit vier Jahren bin ich engagiertes Mitglied bei Women in Tech e.V. und übernehme seit knapp drei Jahren ehrenamtlich die Rolle des Teamleads für Jobs & Skills.
WIT: Was machst du beruflich?
Neslihan: Ich bin Hardwareentwicklerin und arbeite in einem Unternehmen, das auf sicherheitsgerichtete Steuerungen spezialisiert ist.
WIT: Was genau versteckt sich hinter deiner Berufsbezeichnung?
Neslihan: Als Hardwareentwicklerin erstelle ich Schaltpläne. Dazu recherchiere ich nach geeigneten Bauteilen, die meinen spezifischen Anforderungen gerecht werden. Anschließend verbinde ich die Bauteile so miteinander, dass sie die gewünschte Funktion erfüllen und das Design sowohl funktional als auch effizient ist.
Dabei achte ich nicht nur auf technische Anforderungen, sondern auch auf Faktoren wie Zuverlässigkeit, Kosten und Verfügbarkeit der Bauteile. Auch das Löten von Platinen gehört zu meinen Aufgaben, ebenso wie die Durchführung von Hardware Tests, um sicherzustellen, dass mein Design in der Praxis tatsächlich die gewünschte Funktion erfüllt.
Um alle Schritte im Entwicklungsprozess nachverfolgen zu können, ist eine gründliche Dokumentation unerlässlich. Ich dokumentiere jeden Schritt – von der Auswahl der Bauteile über den Designprozess bis hin zu den durchgeführten Tests und deren Ergebnissen.
Als Hardwareentwicklerin im Bereich der funktionalen Sicherheit muss ich strikt allen relevanten Normen und Standards folgen. Diese Normen, wie zum Beispiel die IEC 61508 stellt sicher, dass die entwickelten Systeme sicher und zuverlässig sind, insbesondere in sicherheitskritischen Anwendungen. Um potenzielle Fehlerquellen in einem System frühzeitig zu identifizieren, führe ich FMEA-Analysen (Fehler-Möglichkeits- und Einfluss-Analysen) durch.
WIT: Wie bist du dazu gekommen, einen technischen Beruf zu wählen?
Neslihan: Mein ursprünglicher Plan war es, Soziale Arbeit zu studieren. Ich war davon überzeugt, dass soziale Berufe gut zu mir passen – das bestätigten auch diverse Tests in Berufsberatungsstellen. Allerdings war das Studium heiß begehrt, mit rund 1.000 Bewerbungen auf nur 30 Studienplätze. Daher entwickelte ich einen Plan B und bewarb mich um einen Studienplatz in Medizintechnik.
Da ich meine Fachhochschulreife im Bereich Pflege und Gesundheit absolvierte, gehörten Biologie und Medizin zu meinen Stärken. Heute bin ich sehr glücklich über diese Entscheidung und stolz darauf, dass ich das Studium so engagiert und zielstrebig gemeistert habe.
WIT: Wer oder was hat dich am meisten inspiriert, einen technischen Beruf zu wählen?
Neslihan: Anfangs war mir noch gar nicht klar, dass der technische Anteil in diesem Studium den medizinischen überwiegt. Bei einem Studieninformationstag fragte ich einen Professor, ob gute Kenntnisse in Physik und Mathematik erforderlich seien, um das Studium erfolgreich abzuschließen. Er versicherte mir, dass ich alle Grundlagen im Studium Schritt für Schritt lernen werde. Durch seine Zusicherung gewann er mein Vertrauen, und ich entschloss mich, das Studium anzutreten.
WIT: Hat dich Technologie und/oder Programmieren schon immer interessiert?
Neslihan: Tatsächlich nicht. Kreative Hausarbeiten, Datenverarbeitung und das Schulfach ‘Technik’ machten mir zwar Spaß. Aber das bewusste Interesse an Technik ist erst während dem Studium, bzw. im Praxissemester entstanden.
WIT: Haben deine Eltern und Lehrer deine Vorliebe und dein Interesse für Technik gefördert?
Neslihan: An dieser Stelle möchte ich mich bei meinem Datenverarbeitung Lehrer aus der Hauptschule bedanken. Er ist mir in Erinnerung geblieben, weil er mich dafür lobte, dass ich die komplexen Aufgaben in MS Excel mit Leichtigkeit gelöst habe. Diese kleine Geste begleitet mich bis heute.”
WIT: Was gefällt dir an deiner Tätigkeit am meisten?
Neslihan: Am meisten gefällt mir die Möglichkeit, direkt an innovativen Lösungen zu arbeiten.
Wie in der Berufsbezeichnung auch schon erwähnt, sind die Aufgabenfelder sehr komplex und erfordern eine hohe Liebe zum Detail. Es ist äußerst befriedigend, zu erleben, wie die Konzepte, die in meinem Kopf entstehen, in der Praxis erfolgreich realisiert werden.
WIT: Was ist für dich das Schönste an deinem Arbeitsalltag?
Neslihan: Das Schönste ist die Vielfalt an Aufgaben und Herausforderungen. Jeder Tag bringt neue technische Probleme, die ich kreativ und analytisch lösen muss. Besonders reizvoll finde ich den Moment, wenn ein Konzept, an dem ich gearbeitet habe, plötzlich in ein funktionierendes Produkt übergeht. Der Austausch mit meinem Team und die Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Lösungen machen den Arbeitsalltag noch spannender.
WIT: Wo findet man dich in der Freizeit am ehesten?
Neslihan: In meiner Freizeit findet man mich am ehesten auf Reisen. Ich liebe es, neue Orte zu entdecken und andere Kulturen kennenzulernen. Reisen gibt mir die Möglichkeit, Abstand vom Alltag zu gewinnen. Natürlich verbringe ich auch gerne meine Zeit mit Freunden und Familie, sei es bei einem gemütlichen Abendessen oder bei gemeinsamen Aktivitäten. Wenn ich Ruhe brauche, findet man mich oft mit einem guten Buch oder bei der Gartenarbeit.
WIT: Welche Botschaft möchtest du Frauen oder Mädchen mitgeben, die sich für Technik interessieren?
Neslihan: Sei mutig! Die Technikbranche braucht kreative, mutige und visionäre Köpfe – und genau das kannst Du sein.
WIT: Welchen Ratschlag verfolgst du bis heute?
Neslihan: ‘Wer sein Ziel kennt, findet den Weg.’ Dieser Gedanke hat mir immer geholfen, fokussiert und zielstrebig zu bleiben – selbst in Momenten, in denen ich wegen meiner Prüfungsangst am liebsten den Kopf in den Sand gesteckt hätte oder emotional wurde und an mir gezweifelt habe, ob ich das alles schaffen kann.
WIT: Welchen Herausforderungen begegnest du speziell als Frau in deinem Beruf?
Neslihan: Ich begegne immer mal wieder dem Gefühl von Misstrauen. Besonders bei Mitarbeitenden, die kurz vor der Rente stehen. Doch das lässt mich nicht entmutigen, denn ich bin für sie oftmals eine neue Erfahrung und jede Veränderung braucht Zeit. Oft muss ich kurz durchatmen, mich sammeln und ein bisschen mehr Effort aufbringen als meine männlichen Kollegen.
WIT: Welche Tipps hast du für Bewerbungsgespräche für technische Positionen?
Neslihan: Sag ‘Ja’ – nicht nur zu den Anforderungen, sondern auch zu den Herausforderungen. Zeige deine Bereitschaft, dich weiterzuentwickeln und neue Fähigkeiten zu erlernen.
WIT: Frauen in technischen Berufen sind ja leider noch eine Minderheit. Was sind deine Gedanken zu diesem Thema?
Neslihan: Meiner Meinung nach liegt das oft an dem Mangel an Vorbildern, die Mädchen und junge Frauen ermutigen, in die Technik zu gehen. Es braucht mehr Sichtbarkeit, Unterstützung und Mentoring, damit Frauen in der Technik nicht nur ihren Platz finden, sondern auch erfolgreich aufsteigen können.
WIT: Was verbindet dich mit Frauen in der Technik?
Neslihan: Die Erfahrung, oft die erste Frau in einer Abteilung oder einem Team zu sein. Diese Position bringt besondere Herausforderungen mit sich. Wir sind nicht nur als Fachkräfte gefragt, sondern auch als Vorbilder und Pioniere, die zeigen, dass Frauen genauso erfolgreich in technischen Berufen sein können. Diese Erfahrung schafft eine starke Verbindung zu anderen Frauen in der Branche, da wir uns über ähnliche Herausforderungen austauschen und gegenseitig unterstützen können.
WIT: Bitte beschreibe eine herausfordernde Situation, der du in deinem Beruf in der Vergangenheit begegnet bist.
Neslihan: Zu Beginn meiner Karriere hatte ich eine herausfordernde Situation, in der ich oft als die ‘Helferin’ eines Kollegen bezeichnet wurde – ein Ausdruck, der mich klein fühlen ließ. Es war frustrierend, in dieser Rolle wahrgenommen zu werden, besonders da ich viel mehr zu bieten hatte. Doch dann stieß ich auf Women in Tech e.V., die mir halfen, mein Selbstbewusstsein zu stärken und mich dazu zu ermutigen, mehr Eigeninitiative zu zeigen.
Ich nahm die Herausforderung an, bei meinem Chef Anerkennung für meine Fähigkeiten zu gewinnen, und zeigte, dass ich in der Lage war, Verantwortung zu übernehmen. Schließlich bekam ich mein eigenes Projekt, das ich mit Erfolg und Leidenschaft meisterte. Diese Erfahrung hat mir nicht nur geholfen, mich als Entwicklerin zu beweisen, sondern auch gezeigt, wie wichtig es ist, für sich selbst einzutreten und die eigenen Stärken zu zeigen.
WIT: Wohin möchtest du dich zeitnah beruflich und persönlich weiter entwickeln?
Neslihan: Idealerweise in einer Rolle, in der ich eine Gruppe von Studierenden begleiten kann. Ich finde es sehr erfüllend, Wissen zu teilen und junge Talente zu fördern. Dafür strebe ich an, eine leitende Position zu erreichen und mich kontinuierlich dahin zu entwickeln.
WIT: Wer sind deine persönlichen oder beruflichen Role Models?
Neslihan: Meine persönliche Role Model ist definitiv meine Mutter. Sie hatte immer für jedes Problem eine Lösung und hat mich mit ihrer Entschlossenheit, Kreativität und ihrem unerschütterlichen Optimismus inspiriert. Ihre Fähigkeit, auch in schwierigen Situationen ruhig und lösungsorientiert zu bleiben, hat mich geprägt und mir gezeigt, wie wichtig es ist, Herausforderungen mit einem klaren Kopf und einem positiven Ansatz zu begegnen.
Meine beruflichen Role Models sind mein Analogtechnik-Professor und meine Hochfrequenztechnik-Professorin an der Hochschule Mannheim. Beide haben mich nicht nur durch ihre Fachkompetenz inspiriert, sondern auch durch ihre Leidenschaft für Technik und ihre Fähigkeit, komplexe Themen verständlich zu vermitteln. Sie haben mir gezeigt, wie wichtig es ist, sich ständig weiterzubilden und mit Begeisterung und Hingabe an Herausforderungen heranzutreten. Ihre Unterstützung und ihr Engagement haben mich sehr geprägt.
Ich möchte besonders auf das Engagement im Mentoring hinweisen. Mentoring bietet nicht nur die Möglichkeit, anderen zu helfen, ihre beruflichen Ziele zu erreichen, sondern es bereichert auch mich persönlich, indem es mir neue Perspektiven eröffnet und mich dazu anregt, kontinuierlich zu lernen und mich weiterzuentwickeln.
Vielen Dank für das Interview, Neslihan!