WIT: Hallo, Nilofar, Bitte erzähle uns doch einmal kurz von dir persönlich
Nilofar: Ich heiße Nilofar und wohne derzeit im schönen Erfurt. Ich bin mit 9 Jahren als Flüchtlingskind aus Afghanistan nach Deutschland gekommen und bin in Darmstadt aufgewachsen. Ich würde mich als lebensfrohen und wissbegierigen Menschen beschreiben. Mein Herz schlägt für Women-Empowerment, Bildung und Tech.
Nach meinem Wirtschaftsrecht Studium habe ich in diversen Positionen als Legal Adviser gearbeitet, zuletzt bei der Deutschen Bahn AG als Datenschutzberaterin.
Durch die Datenschutzberatung bin ich mehr und mehr mit dem Thema neue Technologien in Berührung gekommen und habe bemerkt, dass es mir Spaß bereitet, mich mit technischen Themen zu befassen und dass der Datenschutz eine wichtige Basis für neue Technologien und somit für die Weiterentwicklung unserer vernetzten Welt ist. Damit war der Baustein für meinen Quereinstieg in die Techbranche gesetzt.
WIT: Was machst du beruflich?
Nilofar: Heute bin ich als Data Governance Consultant in der strategischen IT-Unternehmensberatung tätig.
WIT: Was genau versteckt sich hinter deiner Berufsbezeichnung?
Nilofar: Data Governance beschreibt Maßnahmen, um Menschen, Prozesse und Technologien unter Einhaltung der gesetzlichen Regelungen im Unternehmen so in Einklang zu bringen, dass der Wert der Daten maximiert werden kann.
Warum ist Data Governance wichtig im Unternehmen? Heutzutage werden Buzzwords wie KI und Machine-Learning gehyped. Aber meiner Meinung nach sind Daten der Kern für jede technologische Innovation. Es ist also dringend notwendig zu wissen, was macht ein qualitativ wertvolles Datensatz aus, die z.B. für den Einsatz von Maschine-Learning verwendet wird? Das heißt, jedes Unternehmen sollte Datenqualitätsmessungen, einen Governance-Rahmen und vor allem eine auf der Unternehmensstrategie basierende Datenstrategie haben. Data Governance ist für mich das Dach für hochwertige technologische Innovationen im Unternehmen.
Viele stellen sich Data Governance als ein ausschließliches technisches Gebiet vor, dabei basiert Data Governance auf drei Säulen: Menschen, Prozesse & Technologien. Der Faktor Mensch spielt eine große Rolle und meine Aufgabe als Consultant ist es, diese drei Säulen im Unternehmen in Einklang zu bringen, mit dem Ziel der Wertsteigerung der vorhandenen Daten. Changemanagement ist hier ein wichtiger Baustein.
Data Governance ist ein Schnittstellenthema zwischen Tech und Strategie und ist gerade für Quereinsteigerinnen in der Techbranche ein ideales Feld, da keine Programmierkenntnisse oder anderweitigen technischen Skills erforderlich sind. Ein breites Grundverständnis zu technischen Themen, Neugierde und die Bereitschaft Neues zu lernen ist ausreichend.
WIT: Wie bist du dazu gekommen, einen technischen Beruf zu wählen?
Nilofar: Ich bin mit 9 Jahren nach Deutschland gekommen und habe mittlerweile Berufserfahrung sowohl im Konzern als auch in der Startup-Welt gesammelt.
In meiner beruflichen Laufbahn waren weibliche Role-Models, insbesondere Frauen mit Migrationsbiografie, die in der Techbranche tätig sind, oder gar Führungspositionen innehaben, stark unterrepräsentiert. Ich möchte dieses Narrative in Frage stellen und habe mich bewusst dafür entschieden, in der Techbranche als Quereinsteigerin Fuß zu fassen.
WIT: Wer oder was hat dich am meisten inspiriert, einen technischen Beruf zu wählen?
Nilofar: Ehrlich gesagt, war es keine Inspiration, sondern Frustration über den Ist-Zustand, die mich dazu verleitet hat, in der Techbranche einzusteigen. Ich glaube an das Role-Model-Prinzip: Junge Mädchen und Frauen müssen diverse Beispiele für Erfolg, Führung und Leistung sehen, damit sie Vertrauen in ihre Fähigkeiten gewinnen, um sich bestmöglich entfalten zu können. Frauen sind noch immer noch in puncto Techthemen gewisse internen und externen Hemmschwellen ausgesetzt. Mit meinem Quereinstieg wollte ich bewusst dies ändern und bin dankbar über Organisationen wie WiT, die das Gleiche Ziel verfolgen. Because representation matters!
WIT: Hat dich Technologie und/oder Programmieren schon immer interessiert?
Nilofar: Als Kind und auch im späteren Erwachsenenalter war Technik für mich eine absolute Männerdomäne. Ich hatte Hemmungen mich mit Technik oder MINT-Fächern zu befassen. Ich wurde weder durch Lehrer:Innen noch im Elternhaus in diesen Bereichen gefördert. Erst durch die berufliche Spezialisierung auf Datenschutz bin ich mehr mit technischen Themen in Berührung gekommen und habe bemerkt, welch einen immensen Impact Technik in unser tägliches Miteinander hat.
WIT: Haben deine Eltern und Lehrer deine Vorliebe und dein Interesse für Technik gefördert?
Nilofar: Leider nein.
WIT: Was gefällt dir an deiner Tätigkeit am meisten?
Nilofar: Mir gefällt die menschliche Komponente an meiner Tätigkeit am meisten. Damit meine ich die Aufgabe, Menschen im Umgang mit Daten im Unternehmen zu fördern und zu schulen, also die Datenkompetenz im Unternehmen zu erhöhen. Viele sehen das Thema Daten im Unternehmen ausschließlich in der IT-Abteilung verortet. Es ist mir ein Herzenswunsch, dass jeder im digitalen Zeitalter lernt, Daten -als die wichtigste Währung unserer Zeit – richtig lesen und anwenden zu können. Im Unternehmen sollten Menschen aus verschiedenen Disziplinen in der Lage sein, Daten zu managen, bewerten und zu sammeln. Im Privaten ist es genauso wichtig, dass wir Datenkompetenz haben, um bewusster entscheiden zu können, welche Informationen wir über uns im Netz preisgeben wollen.
WIT: Was ist für dich das Schönste an deinem Arbeitsalltag?
Nilofar: Jeden Tag etwas Neues dazulernen. Die Technik entwickelt sich rasant weiter und damit auch das Know-how-level. Das finde ich besonders spannend an das Arbeiten in einem technischen Umfeld.
WIT: Wo findet man dich in der Freizeit am ehesten?
Nilofar: Beim Podcast aufnehmen. Ich habe mir dieses Jahr mit drei weiteren Freunden einen besonderen Herzenswunsch erfüllt; Wir haben unseren Podcast Migrapreneurship ins Leben gerufen. Hier interviewen wir spannende Entrepreneur:Innen mit Migrationsbiografie und gehen die Frage nach, warum sich Menschen mit Migrationsbiografie eher trauen ein eigenes Unternehmen zu gründen.
Mein Fokus liegt hier auf Frauen und weiblich gelesene Personen mit Migrationsbiografie in der Wirtschaft.
WIT: Welche Botschaft möchtest du Frauen oder Mädchen mitgeben, die sich für Technik interessieren?
Nilofar: Das Zitat von Simone de Beauvoir: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“
Lass dich nicht von bestehenden Narrativen verunsichern und gehe deinen Weg. Bleibe dir jedoch selbst treu.
WIT: Welchen Ratschlag verfolgst du bis heute?
Nilofar: Mir selbst ab und an auf die Schulter zu klopfen.
WIT: Welche Tipps hast du für Bewerbungsgespräche für technische Positionen?
Nilofar: Bereite dich gut vor. Sei dir im Klaren darüber, was du kannst und wie du dem Unternehmen bereicherst. Verkauf dich nicht unter Wert.
WIT: Frauen in technischen Berufen sind ja leider noch eine Minderheit. Was sind deine Gedanken zu diesem Thema?
Nilofar: Über Jahrzehnte wurden die Technologien überwiegend von einer homogenen Gruppe, nämlich die der Männer, entwickelt. Unsere Gesellschaft ist jedoch vielfältig. Das muss sich auch in den eingesetzten Technologien und der technischen Produktentwicklung widerspiegeln. Dies kann nur gelingen, wenn ein möglichst diverses Team an der Produktherstellung beteiligt war.
WIT: Was verbindet dich mit Frauen in der Technik?
Nilofar: Die systematischen Barrieren, die einem doch zusammenschweißen. Frauen und weiblich gelesene Personen sind heute immer noch mit rechtlichen, kulturellen und sozialen Barrieren konfrontiert. Frauen mit Migrationsbiografie sind mit noch größeren Herausforderungen und Barrieren konfrontiert! Als Frauen in der Technik müssen wir ein solides Netzwerk und Unterstützungssystem aufbauen, um beruflich voranzukommen. Das Netzwerk und die spezifische Karriereberatung, die Frauen einander bieten können, sind entscheidend für den beruflichen Aufstieg. In Frauennetzwerken wie WiT kann ich mich mit Gleichgesinnten austauschen, meine Erfahrungen und Expertise einbringen und von der Möglichkeit der Vernetzung unter Tech-Enthusiastinnen Gebrauch machen, mit dem Ziel der Abbau von Barrieren. Die Vision, den Anteil von Frauen in technischen Berufen zu erhöhen, einander zu mehr Sichtbarkeit verhelfen und in den Themen Empowerment und Growth mit Rat und Tat zur Seite stehen, das alles schätze ich sehr bei WiT!
WIT: Wer sind deine persönlichen oder beruflichen Role Models?
Nilofar: Managerinnen die trotz struktureller Hürden bereits im IT-Sektor auf C-Level-Ebene angekommen sind, wie eine Annahita Esmailzadeh, Mohanna Azarmandi oder Mina Saidze.
Die Begeisterung für lebenslanges Lernen sollte nicht nur in der IT ein Thema sein, sondern im gesamten Leben. Nur wenn wir stetig den Ist-Zustand in Frage stellen, in der Lage sind kritisch auf uns zu blicken und unsere Privilegien erkennen, entwickeln wir uns technologisch und gesamtgesellschaftlich weiter.
WIT: Vielen Dank für das Interview, Nilofar!