Interview mit Julia Haske, Wissenschaftlerin für den Forschungsbereich Reaktivierung & Transition

WIT: Hallo, Julia, bitte erzähle uns doch einmal kurz von dir persönlich.
Julia: Ich bin kürzlich 27 Jahre geworden und habe zeitgleich meinen Master beendet. Nun folgt die Promotion von der ich schon früher wusste, dass ich sie mal in etwas unkonventionellem und vielleicht auch „Frauen untypischen“- Bereich machen möchte, um mich hervorzuheben und um zu zeigen: „Wir können sein, wer immer wir wollen. Wir müssen uns nur zuerst selbst als das sehen, was wir erreichen möchten.“ Ansonsten mache ich sehr gerne Home Workouts oder Spaziergänge in meiner Freizeit, um einen Ausgleich vom Alltag und der Arbeit zu erhalten. Ich habe mir vor kurzem eine Katze geholt und die erfordert nun natürlich auch viel Aufmerksamkeit und Zuwendung.

WIT: Was machst du beruflich?
Julia: Ich arbeite als Wissenschaftlerin für den Forschungsbereich Reaktivierung & Transition (ehemaliger Bergbauregionen) am Forschungszentrum Nachbergbau an der Technischen Hochschule Georg Agricola in Bochum. Studiert habe ich jedoch Internationale Politische Ökonomie Ostasiens mit dem Schwerpunkt auf China. Hier beginne ich nun eine kooperative Promotion, in der ich die ökonomischen und politischen Aspekte meines Studiums mit den technischen Aspekten meines Berufs vereine, um einen ganzheitlichen Ansatz zu schaffen.

WIT: Was genau versteckt sich hinter deiner Berufsbezeichnung?
Julia: Ich beschäftige mich einerseits mit den sozio-ökonomischen Auswirkungen durch den ehemals aktiven Steinkohlenbergbau im Ruhrgebiet. Das bedeutet ich schaue nach möglichen Nachnutzungspotentialen und entwickle innerhalb meines Forschungsprojekts Business Modelle für die Neu-, und Umnutzung ehemaliger Bergwerke und ihrer Standorte. Ich analysiere aber auch die Beschäftigungseffekte und den Strukturwandel, der mit solchen Prozessen in der Industrie einhergeht. Andererseits schaffe ich durch mein vorheriges Studium den Transfer nach China und schaue mir den Bergbau hier an. So möchte ich auf Basis der EU-China Beziehungen identifizieren, wodurch die Integration von technischen Innovationen gehindert wird und welche Stadien durchlaufen werden müssen. Diese Hürden sollen identifiziert werden und diesen durch Impulsgebung möglichst entgegen gewirkt werden. Darüber hinaus arbeite ich im Forschungsbereich des Umwelt-, und Geomonitorings im Alt-, und Nachbergbau als Drohnenpilotin, wofür ich eine Weiterbildung beim Luftfahrt Bundesamt gemacht habe. Hier können wir mithilfe verschiedener Sensoren (multispektral, thermalinfrarot etc.) einen Einblick in, beispielsweise, den Zustand von Fördergerüsten erhalten und feststellen, ob ein Standort zum Erhalt des industriellen Erbes restauriert werden muss, seine Standfestigkeit einbüßt und welche Kosten damit einhergehen.

WIT: Wie bist du dazu gekommen, einen technischen Beruf zu wählen?
Julia: Ich habe während meines Bachelorstudiums im Prüfungsamt der Technischen Hochschule als studentische Hilfskraft gearbeitet und dort gefragt, ob ich nicht auch ein Praktikum machen könnte, um einen besseren Einblick in die Prozesse der verschiedenen Abteilungen dort zu erhalten. So bin ich in meiner letzten Station am Forschungszentrum Nachbergbau gelandet. Zuvor hatte mich die Bergbauthematik nie groß interessiert. Doch dort habe ich gelernt, welche Fülle an Möglichkeiten es gibt verschiedene Expertisen und Erfahrungen neu zu vereinen, um neue integrierte Lösungsansätze zu erschließen. Hier fiel mir besonders auf, dass China als weltweit größtes Bergbauland nicht wirklich miteinbezogen werden konnte, da die Expertise in diesem Bereich fehlte. Das habe ich als meine Chance gesehen diese Kompetenz zu erweitern und mich selbst tiefer in die Gebiete von Bergbau, Kreislaufwirtschaft, seltene Erden, erneuerbare Energien etc. einzuarbeiten und zu forschen.

WIT: Wer oder was hat dich am meisten inspiriert, einen technischen Beruf zu wählen?
Julia: Es ist noch immer so, dass technische Berufe und in meinem Fall auch Berufe im Bereich des Bergbaus und der Energiewirtschaft deutlich männlich dominiert sind. Doch, für ganzheitliche Lösungen braucht es diverse Perspektiven genauso, wie es verschiedene wissenschaftliche Herangehensweisen erfordert (ökonomisch, politisch, sozial…). Daher sollten sich hier auch mehr Frauen trauen sich zu etablieren und das geht, wie man an mir sieht, auch als Quereinsteiger. So lange die Leidenschaft da ist, ist das Erlernen von neuem Wissen kein Problem, denn lernen tun wir ohnehin ein Leben lang. Wieso das also nicht nutzen und aktiv einen Impact leisten und mitmischen?

WIT: Hat dich Technologie und/oder Programmieren schon immer interessiert?
Julia: Ja! Tatsächlich habe ich dank meinem technik affinen Onkel, der auch im IT-Bereich leitet und mit dem ich früher viel Zeit verbracht habe, mir immer alles gezeigt. Ich saß oft neben ihm am PC und er hat mir gezeigt, wie man verschiedenes Programmieren kann. Ich fand das faszinierend und habe auch früh gern verschiedene Art von Games gespielt, sei es am berühmt berüchtigten Nintendo oder schlicht am PC. Außerdem habe ich mit zirka 13 Jahren meine Vorliebe für das Erstellen von Videos gefunden. Hier habe ich stundenlang mit Programmen wie Sony Vegas Pro zugebracht, um einfach für mich Funktionen zu testen und Videos und Musik zusammenzuschneiden. Die habe ich dann auf CD gebrannt und zu Geburtstagen an meine Familie verschenkt – ich war süchtig danach! Später bin ich auch der Robotik AG an meiner Schule, dem Haranni Gymnasium in Herne, beigetreten. Diese AG hatte mein damaliger Informatiklehrer gegründet, um bewusst junge Mädchen mehr für Technik und das Programmieren zu begeistern. Hier war ich damals sogar in der Zeitung und mächtig stolz auf meinen programmierten Roboter, der zu einer meiner Lieblingssongs eine Choreo „tanzen“ konnte.

WIT: Haben deine Eltern und Lehrer deine Vorliebe und dein Interesse für Computer gefördert?
Julia: Definitiv! Meine Eltern haben sich immer bemüht meine Entwicklungen und Interessen zu unterstützen, so gut sie konnten. Selbst dann, wenn sie manchmal nicht ganz wussten, was ich da eigentlich tue oder warum. Hierfür bin ich dankbar, denn ich konnte meine Kreativität so auf verschiedene Arten ausleben und mich selbst besser kennenlernen.

WIT: Was gefällt dir an deiner Tätigkeit am meisten?
Julia: Mir gefällt die große Bandbreite an Möglichkeiten. Der Forschungsbereich ist sehr groß und man kann sich auf so viele verschiedene Thematiken festlegen, die einen interessieren. Ich bin oftmals oft Konferenzen und kann meine Forschung dort präsentieren. Das ist super zur Übung, aber man lernt auch immer neue spannende Menschen können. Dieser aktive Austausch macht Spaß und bringt einen meist auch direkt weiter zu neuen Events, wo man wieder Menschen kennenlernen kann. Man muss sich nur trauen. Außerdem liegt in meiner Arbeit viel Potential, da besonders „der Nachbergbau in China“ ein in Deutschland kaum erforschtes Thema ist und vielen nicht klar ist, was Nachbergbau alles bedeuten kann. Denn wir sprechen nicht nur von einem gänzlich beendeten Bergbau. Die nachhaltigen Schäden beginnen bereits im aktiven Bergbau und daher sollte man bereits dort durch entsprechendes Management und Planung ansetzen. Ebenso benötigen bereits vereinzelt geschlossene Bergwerke eine „Nachbehandlung“ und Konzepte zum weiteren Vorgehen. Hier kann deutsche Erfahrung einen großen Beitrag leisten, wenn wir transparente Kommunikation fördern.

WIT: Was ist für dich das Schönste an deinem Arbeitsalltag?
Julia: Derzeit arbeite ich zu großen Teilen im Home Office und finde das äußerst effizient. Diesen Vertrauensvorschuss weiß ich zu schätzen und er bietet mir die Möglichkeit mein Arbeiten, je nachdem ob es sich um Meetings, Denk-, oder Schreibprozesse handelt, an meinen individuellen Rhythmus anzupassen. Manch einer schreibt besser am Abend oder am Morgen, aber nicht nach vorgegebener Zeit. So kann ich selbst entscheiden und meine eigenen Arbeitsprozesse bestmöglich optimieren. Außerdem arbeite ich vollkommen selbstständig und treffe meine eigenen Entscheidungen. Das finde ich klasse!

WIT: Wo findet man dich in der Freizeit am ehesten?
Julia: Beim Essen oder an der frischen Luft! Ich genieße sehr gerne einen Spaziergang draußen zum Ausgleich zum vielen Sitzen am Schreibtisch. Ansonsten bin ich eine Genießerin, wenn es ums Essen geht und koche hier auch gerne aufwändigere Gerichte, um mich dann selbst zu belohnen. Dann schmeckt es noch besser. Ansonsten schaue ich abends auch gerne mal einen Film – oder ich spiele noch immer gern Konsolenspiele – daran hat sich in all den Jahren nichts geändert. Lediglich die Konsolen ändern sich.

WIT: Welche Botschaft möchtest du Frauen oder Mädchen mitgeben, die sich für Technik interessieren?
Julia: Glaubt an euch, denn es fängt immer bei euch an! Seht euch, wo immer ihr euch sehen möchtet und dann geht in diese Welt hinaus und holt es euch, denn ihr könnt sein, wer immer IHR sein möchtet. Ihr werdet immer Menschen treffen, die euch etwas anderes erzählen, vielleicht weil sie sich selbst so etwas nicht zutrauen würden. Davon darf man sich nicht abhalten lassen. Es gibt noch so viele Themenkomplexe, wo wir mehr Frauen brauchen und Technik kann so viel für uns tun, wenn wir sie lassen und ihr die Chance geben, diese verstehen zu wollen. Typische Stereotypen wie „Mädchen können nicht so gut mit Technik“ begleiten uns auch heute noch und unterbewusst setzen sie sich bei uns fest. Probiert die Dinge einfach aus und bildet euch eure eigene Meinung. Ich war nie besonders gut in Mathe, weil ich dachte ich könne nicht mit Zahlen. Trotzdem habe ich erfolgreich programmiert, Technik verwendet, Wirtschaft studiert – und hier gab es eine Menge Zahlen. Ihr könnt alles, wenn ihr wollt.

WIT: Welchen Ratschlag verfolgst du bis heute?
Julia: Ich verlasse mich immer auf mein Bauchgefühl, auch auf die Gefahr, dass das komisch klingt. Wenn ich vor einem Scheideweg oder einer Entscheidung stehe, dann versuche ich ruhig zu werden und meinem Impuls zu vertrauen. Denn im Endeffekt kann einem niemand die Entscheidungen abnehmen, die man für sein eigenes Leben trifft. Daher bin ich davon überzeugt, dass wir die richtigen Antworten immer auch schon bereits kennen. Wir müssen nur bereits sein sie zu zulassen. Oftmals bedeutet das aber, dass wir aus unserer Komfortzone herausmüssen, um etwas neues zu lernen. Das macht uns oft Angst und daher zögern wir. Daher: Du musst dich entscheiden und du bist aufgeregt? Ein Teil von dir freut sich, aber du hast Angst vielleicht zu scheitern? Tu es! Vertrau dir!

WIT: Welchen Herausforderungen begegnest du als Frau in deinem Beruf?
Julia: Besonders als junge Frau wird man oftmals nicht ernst genommen. Das passiert mir immer noch öfter, als es mir lieb ist. Hier darf man nicht emotional werden, auch wenn es frustrierend ist, wenn man weiß, was man kann und was nicht. Hier muss man den richtigen Umgang mit solchen Menschen und Situationen lernen. Vor allem darf man sich niemals davon aufhalten lassen seine Ziele zu erreichen.

WIT: Welche Tipps hast du für Bewerbungsgespräche für technische Positionen?
Julia: Eine gute Vorbereitung ist neben dem ersten Eindruck die halbe Miete. Dafür sollte man sich gut informieren über die jeweilige Firma oder wo auch immer man das Bewerbungsgespräch hat: Worauf wird wert gelegt, was verkörpert man dort und welche Ziele werden verfolgt? Andererseits sollte man in der Lage sein spezifische Fragen zu der technischen Position beantworten zu können. Ein vorheriges dezidiertes Auseinandersetzen damit steigert auch das Selbstbewusstsein, mit dem man in dieses Gespräch geht. Wichtige Vorerfahrungen für den Beruf sollte man hervorheben und davon berichten.

WIT: Frauen in technischen Berufen sind ja leider noch eine Minderheit. Was sind deine Gedanken zu diesem Thema?
Julia: Das kann ich nur bejahen. Das ist genau der Grund warum ich auf Plattformen verstärkt aktiv werde, die MINT attraktiv für Frauen und junge Mädchen machen und Verunsicherungen nehmen möchten. Es braucht mehr Mentorinnen, die aktive Unterstützung anbieten. Daher bin ich durch mein Netzwerk auch auf diese Möglichkeit zum Interview bei Women in Tech aufmerksam geworden. Ich bin weiterin Mitglied des Netzwerks „She Drives Energy – Women in Energy Industries“ und Expertin für die Initiative #InnovativeFrauen. Hier biete ich mich ebenfalls aktiv als Mentorin oder Unterstützerin jeglicher Art an. Denn wir müssen anderen Mädchen und Frauen ein Vorbild sein und denjenigen helfen, die noch zweifeln, obwohl sie Interesse hätten. Einander zu stützen ist ein wichtiger Aspekt, um zukünftig mehr Frauen in solche Berufszweige zu bekommen.

WIT: Was verbindet dich mit Frauen in der Technik?
Julia: Die Leidenschaft vor nichts zurück zu scheuen, neues zu entdecken und auch offen für neues zu sein. Sich zu trauen neuen Erfahrungen offen gegenüber zu stehen und der Ansporn zu Pionierinnen auf unseren Gebieten zu werden.

WIT: Bitte beschreibe eine schwierige Situation, der du in deinem Beruf in der Vergangenheit begegnet bist.
Julia: Es ist in der Wissenschaft selbst schon teilweise schwierig ernst genommen zu werden, wenn man noch keine Doktorin oder gar Professorin ist, doch wenn man hinzu auch noch eine junge Frau ist, die ihre Kompetenz gegenüber erfahrenen Männern beweisen möchte, dann hat man manchmal das Gefühl sich umsonst zu bemühen. Egal wie sehr man sich bemüht, man wird schlichtweg nicht „gehört“. Das kann frustrieren und die Motivation nehmen, doch stattdessen denke ich mir mittlerweile: Jetzt erst recht und zwar so lange, bis sich etwas ändert! Denn das kann wohl kaum der richtige Weg sein in der heutigen Moderne. Jemand der älter ist, mag erfahren sein, doch es gibt ihm keine Garantie allwissend zu sein und auch hier kann es für jedermann immer nur eine win-win Situation sein voneinander zu lernen und offen für einander zu sein, statt Kommunikation nur top-down zu betreiben. Manchmal wäre eine frische und junge Sicht auf die Dinge sicherlich förderlich für die ein oder andere Entscheidung oder Situation.

WIT: Wohin möchtest du dich zeitnah beruflich und persönlich weiter entwickeln?
Julia: Mein nächstes großes Ziel ist nun meine Promotion erfolgreich zu gestalten und mich während dessen weiterzubilden, so viel ich nur kann. Solch selbstständiges Arbeiten und Netzwerken formt den Charakter und fördert die Weiterentwicklung in hohem Maße. Manchmal überrascht man sich so auch selbst.

WIT: Wer sind deine persönlichen oder beruflichen Role Models?
Julia: Eine meiner Role Models ist Tijen Onaran. Ihr aktiver und öffentlicher Beitrag zur Förderung von Frauen in Berufen, Leitungspositionen und auch in der Gründung von Start-Ups und Investments inspiriert mich sehr. Das hat mich selbst dazu motiviert zu investieren! Hier kann ich ihren derzeitigen Podcast „Aufsteiger:innen“ sehr empfehlen. Hier berichten sowohl Männer, als auch Frauen von ihrem Weg von unten nach oben und den Herausforderungen, die sich ergeben haben. Hier sieht man besonders die Hürden, wenn man nicht aus einer besser gestellten Familie oder aus einer Akademikerfamilie kommt und nicht über das nötige Netzwerk verfügt, wenn man nichts hat und sich alles selbst erschaffen hat. Diese Erfolgsgeschichten sind unfassbar inspirierend und geben Mut. Ansonsten inspirieren mich viele meiner wissenschaftlichen Kolleginnen, die jeden Tag ihren Hut in den Ring werfen und einen aktiven Beitrag zur Wissenschaft leisten.

Hier empfehle ich gerne noch die Initiative #Innovative Frauen, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird: www.innovative-frauen.de/ Vielleicht trauen sich hier noch einige talentierte Frauen sich anzumelden und sich damit mehr in den öffentlichen Fokus zu rücken oder es hilft Frauen Unterstützung durch andere Frauen zu finden.

WIT: Vielen Dank für das Interview, Julia!

 

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