Interview mit Wiebke Raho, Senior Sales Manager & Vorstandsmitglied der Women in Tech e.V.

WIT: Hallo, Wiebke, Bitte erzähle uns doch einmal kurz von dir persönlich
Wiebke: Wiebke: Mein Name ist Wiebke. Ich bin 38 Jahre alt und eine Quereinsteigerin. Ich lebe im Nordwesten von Deutschland in einer kleinen Stadt nahe der holländischen Grenze. Ich bin seit über 10 Jahren alleinerziehend und meine Tochter ist fast erwachsen.

WIT: Was machst du beruflich?
Wiebke: Aktuell bin ich als Senior Sales Manager bei einem Managed Service Provider und IT-Beratungshaus tätig. Dort verantworte ich alles, was im Entferntesten mit Microsoft-Lizenzen zu tun hat. Vom KMU-Vertrieb, der Großkundenberatung, Workshops, dem Netzwerkaufbau über die Partnerschaftspflege mit dem Hersteller bis hin zur Budgetplanung ist alles dabei. Auch den First und Second Level Support scheue ich nicht.

WIT: Was genau versteckt sich hinter deiner Berufsbezeichnung?
Wiebke: Als Senior Sales Manager verfolge ich ein Jahresumsatzziel, das ich selbst mitgestalten kann. Ich arbeite zudem an der Integration von effizienten Geschäftsprozessen, die es Vertriebsmitarbeitern ermöglichen sollen, sich auf ihre Hauptaufgabe, den Verkauf, zu konzentrieren. Vor einer betriebsinternen Reorganisation hatte ich auch mal die Rolle des Senior IT Consultants inne. Bei dieser Rolle steht, wie der Titel es schon vermuten lässt, die Beratung der Kunden im Vordergrund. In meinem Aufgabenfeld sind die Grenzen fließend. Daher rate ich jedem, sich nicht zu sehr auf den Titel zu fokussieren, sondern genau die Rollenbeschreibung zu studieren, wenn es um die Suche nach einer geeigneten Wirkungsstätte geht.

WIT: Wie bist du dazu gekommen, einen technischen Beruf zu wählen?
Wiebke: Mein Weg hat vor sieben Jahren begonnen, als mir von einem Bekannten die Vakanz einer kaufmännischen Position bei einem IT-Dienstleister empfohlen wurde. Meine Hauptaufgaben bestanden zunächst aus Projektcontrolling, Hyperscaler-Eingangsrechnungsverarbeitung und Faktura sowie der Geschäftsstellenverwaltung. Aber der ganze Cloud-Kram und die damit verbundenen Möglichkeiten haben mich fasziniert.

Mir war schnell klar, dass ich Teil dieses Wandels sein wollte, und ich begann, mich berufsbegleitend weiterzubilden. On the job, next to the job und auch während meiner Freizeit. Eigentlich immer dann, wenn ich mal nicht wusste, wie ich meine Zeit sinnvoller einsetzen konnte. Erst viel später legte ich meine Grundlagen-Zertifizierungen ab.

Relativ früh wusste ich auch, dass es viel mehr braucht als ein Bündel reiner Wissenskompetenzen, um erfolgreich zu sein. Also begann ich, mein eigenes Netzwerk aufzubauen und trat Women in Tech e.V. bei, einer gemeinnützigen Organisation, die sich für Geschlechterparität in der Technologiebranche einsetzt. Ich knüpfte an meine bis dato erworbenen Kompetenzen an und unterstützte zunächst das Team Cooperations & Fundings. Seit April 2023 bin ich Mitglied des Vorstands und kümmere mich um die Vereinsfinanzen.

Als im Jahr 2022 ChatGPT von OpenAI angekündigt wurde, hatte ich das Gefühl, dass dies vermutlich eines der disruptivsten Ereignisse seit der Ankündigung des ersten Apple iPhones war. Ich habe meine Hausaufgaben gemacht und mir schnell einige grundlegende Fähigkeiten angeeignet. Heute wirke ich u.a. bei der Produktentwicklung von Angeboten zu generativer KI mit.

WIT: Wer oder was hat dich am meisten inspiriert, einen technischen Beruf zu wählen?
Wiebke: Die Technologie selbst. Die vielfältigen Möglichkeiten, die Cloud Computing mit sich bringt, wie z.B. Work-from-Anywhere und künstliche Intelligenz. Der Fachkräftemangel in der IT ist hinlänglich bekannt und ich habe meine Chance gesehen, in einer anderen Branche Fuß zu fassen.

WIT: Hat dich Technologie und/oder Programmieren schon immer interessiert?
Wiebke: Ich bin 1985 geboren, ich habe die Entwicklung der mobilen Telefonie also hautnah miterlebt, aber auch Telefonzellen kenne ich noch aus der Praxis. Die Ambition, Programmieren zu lernen, hatte ich früher nie. In meiner Jugend hat sich in mir das Klischee von nerdigen Informatikern in dunklen Räumen manifestiert.

WIT: Haben deine Eltern und Lehrer deine Vorliebe und dein Interesse für Technik gefördert?
Wiebke: Mit ungefähr 10 Jahren war ich Tetris-Meisterin und kannte so ziemlich alle damals bekannten Computerspiele, weil mein Vater sich sehr für PCs begeisterte und wir sehr früh einen der ersten Rechner für den Hausgebrauch unser eigen nennen konnten. Mein Vater war es auch, der mich motivierte, Einladungskarten mit Publisher zu erstellen. Er hat mich also schon in gewisser Weise positiv beeinflusst. In der Schule war IT damals noch kein Thema.

WIT: Was gefällt dir an deiner Tätigkeit am meisten?
Wiebke: Mein Arbeitgeber ermöglicht es mir, von fast jedem Ort der Welt zu arbeiten. Ich bevorzuge zurzeit das Home-Office. Um zu erfahren, was meine Kollegen bewegt, fahre ich aber auch regelmäßig an einen unserer Standorte. Natürlich stehen auch regelmäßig Kundenbesuche und Veranstaltungen auf meiner Agenda. So wird es nie langweilig. Um von A nach B zu kommen, stellt mir mein Arbeitgeber einen Dienstwagen. Ich darf aber auch mit der Bahn reisen. Das ist immer dann sinnvoll, wenn ich die Reisezeit auch zum Arbeiten nutzen möchte. Glücklich bin ich immer dann, wenn der Kunde auch glücklich ist und wir helfen konnten. Daraus ziehe ich die meiste Energie.

WIT: Was ist für dich das Schönste an deinem Arbeitsalltag?
Wiebke: Ganz klar die abwechslungsreiche Tätigkeit, die ich irgendwo zwischen Business Development, Process Management, Product Development, Customer Support, Consulting und Vertrieb einordne. Kein Tag gleicht dem anderen. Am Ende eines Tages schaue ich immer dann mit einem Lächeln darauf zurück, wenn ich alle Herausforderungen und Anforderungen meiner Kunden lösen konnte.

WIT: Wo findet man dich in der Freizeit am ehesten?
Wiebke: Im Sommer auf dem Motorrad. Ich fahre seit 20 Jahren leidenschaftlich gern Ducati. Im Winter an dem ein oder anderen verlängerten Wochenende irgendwo in den Alpen auf der Piste mit dem Board oder auf zwei Brettern.

WIT: Welche Botschaft möchtest du Frauen oder Mädchen mitgeben, die sich für Technik interessieren?
Wiebke: Trau dich! Neben dem Programmieren gibt es noch unendlich viele andere Wirkungsstätten in der Branche. Die meisten sind keine Rocket Science oder stecken noch in den Kinderschuhen. Es ist also nie zu spät, den Einstieg zu wagen.

WIT: Welchen Ratschlag verfolgst du bis heute?
Wiebke: Frag dich schlau. Ob als Quereinsteiger oder frisch studierter Uni-Abgänger, wenn du neu in einem Beruf bist, sind Fragen nicht nur erlaubt, sie sind essentiell für deinen späteren Erfolg. Als Anfänger sind Fragen erlaubt! Und glaub mir, auch wenn du das Gefühl hast, dass du in einem Raum voller Wissender bist und nur du keine Ahnung hast, worüber gerade gesprochen wird, du bist es nicht! Frage, und du wirst erstaunt sein, wie vielen Anwesenden es ähnlich geht wie dir!

WIT: Welchen Herausforderungen begegnest du speziell als Frau in deinem Beruf?
Wiebke: Hin und wieder wurde ich in der Vergangenheit von “alten weißen Männern” belächelt. Lerne darüber zu stehen. In männerdominierten Branchen starten Frauen oft als “Underdog”. Das hat auch Vorteile, denn dir wird gar nicht zugetraut, was du alles kannst. Somit bist du für viele auch keine ernstzunehmende Konkurrenz und kannst deine Ziele in Ruhe verfolgen.

WIT: Welche Tipps hast du für Bewerbungsgespräche für technische Positionen?
Wiebke: Bereite dich vor und sei souverän. Aber sei auch immer ehrlich, wenn du auf eine Frage keine Antwort parat hast. Es ist kein Makel, das zuzugeben. Im Gegenteil das wird dir in der Praxis auch geschehen, denn es ist unmöglich, alles zu wissen. Bringe im Nachgang in Erfahrung, wie du das Problem lösen kannst. Kommuniziere während des Gesprächs und in der Zwischenzeit transparent und komme auf die Herausforderung zurück, wenn du eine Lösung gefunden hast.

WIT: Frauen in technischen Berufen sind ja leider noch eine Minderheit. Was sind deine Gedanken zu diesem Thema?
Wiebke: Wenn Minderheiten sich zusammentun und ihre Kompetenzen bündeln, profitiert jeder Einzelne davon. Minderheiten brauchen Stimmen, die sich für sie einsetzen und dafür, dass sich irgendwann ein Gleichgewicht einstellt. Dafür gibt es Netzwerke und Organisationen wie Women in Tech e.V.

WIT: Was verbindet dich mit Frauen in der Technik?
Wiebke: Wiebke: Ich bin stolz, mittlerweile eine “Woman in Tech” zu sein und die Chance ergriffen zu haben, als sie da war.

WIT: Bitte beschreibe eine herausfordernde Situation, der du in deinem Beruf in der Vergangenheit begegnet bist.
Wiebke: Vor ungefähr sechs Jahren habe ich an einer Cloud-Schulung für Sales-Mitarbeiter teilgenommen. Ich befand mich in einem Raum mit gestandenen männlichen Vertrieblern. Recht zu Beginn war ich mit den ganzen Buzzwords überfordert. Irgendwann nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und bat den Trainer, mir nochmal die Modelle IaaS, PaaS und SaaS zu erklären. Er gab die Frage ins Plenum zurück. Keiner der Kollegen konnte, wollte oder traute sich, eine Antwort darauf zu geben.

WIT: Wohin möchtest du dich zeitnah beruflich und persönlich weiter entwickeln?
Wiebke: Das Wichtigste ist mir, einen gewissen Wirkungsgrad in meinen Rollen zu erreichen und technologisch gesehen immer am Zahn der Zeit zu bleiben. Die rasante Entwicklung generativer KI beeindruckt mich zurzeit sehr. Ich habe einige konkrete Business Cases in diesem Umfeld, die ich eventuell umsetzen möchte. Persönlich sehe ich mich in etwa zehn bis 15 Jahren mit dem Laptop auf dem Schoß in einem meiner drei Tiny Houses auf einer Bergalm in der Nähe von München, Innsbruck, Chur oder Bern.

WIT: Wer sind deine persönlichen oder beruflichen Role Models?
Wiebke: Mich beeindrucken Persönlichkeiten, die ihre Ziele verfolgen, die sich von Stolpersteinen nicht aufhalten lassen und die dennoch Zeit freimachen, um anderen bei ihrem Werdegang zu unterstützen.

Fast täglich treffe ich Leute, die mir sagen, dass KI zu fiktiv ist, um sie zu erlernen, oder dass sie gefährlich ist und in Zukunft durch KI Millionen von Arbeitsplätzen vernichten wird, aber ich entgegne diesen Aussagen immer mit der Natur des Wandels. Während der Industrialisierung stand die Menschheit vor ähnlichen Herausforderungen. Damals hatte man die gleichen Ängste. Ja, es sind Jobs verschwunden, aber es sind auch genauso viele Jobs entstanden.

KI verändert eine Menge Dinge. Sei offen für Neues und bleibe neugierig. Wage den Weg aus deiner Komfortzone und schließe dich dem Wandel an. Suche dir Sparring-Partner in einer dich unterstützenden Community wie Women in Tech e.V.

Was mir immer wieder begegnet ist, dass Lernangebote zahlreich, sogar kostenlos verfügbar sind, aber es kaum Angebote oder Communities für Quereinsteiger gibt, in denen man sich nicht zu dumm vorkommt, wenn man sonst mit IT nichts oder nur wenig zu tun hat. Geholfen, diese “Scham” zu überwinden, hat mir die Skill-Her-Initiative von Microsoft, über die ich vor einigen Jahren mein erstes technisches Zertifikat erworben habe. Aber eine gute AI-Community, in der sich Quereinsteiger oder solche, die es werden wollen, im geschützten Rahmen und herstellerunabhängig diskutieren können, ist mir bisher nicht über den Weg gelaufen.
Logische Schlussfolgerung also, dass in mir die Idee der “AI for Dummies”-Community entstanden ist. Die Community ist bewusst nicht als LinkedIn-Gruppe entstanden, sondern als privater Teams-Channel. Das hat den Vorteil, dass sich die Mitglieder mit privaten E-Mail-Adressen anmelden können und nicht direkt im Business-Kontext wahrgenommen werden. So gerät man vor allem nicht direkt ins Visier von Headhuntern und Recruitern.

Hier geht es um Vernetzung, Erfahrungsaustausch und persönliches Wachstum.

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WIT: Vielen Dank für das Interview, Wiebke!

 

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